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Als mein Bischof mir eröffnete, dass ich mich nur auf Aalen und sonst keine andere Stelle bewerben könne – eine Direktive, zu der ich mittlerweile ganz gut ja sagen kann – suchte ich in meiner Biografie über glaubwürdige Informanten, die mir erklären könnten, was es denn mit Aalen im Allgemeinen und mit der katholischen Gemeinde im Besonderen auf sich habe. Ich erinnerte mich an meinen Studienkollegen Ansgar Kaufmann, der inzwischen Wirt und Kellermeister in der „Küferstube“ ist. Ein Wirt, so dachte ich mir, hört allerhand, und so konnte ich mir keinen besseren Informanten für mein Unterfangen wünschen. Zunächst gab er sich etwas wortkarg. Oder war er nur überfordert, weil es ja nicht so leicht ist zu erzählen, wenn einer fragt: „Erzähl mir mal etwas von deiner Heimatstadt.“ Dann erzählte er mir etwas über die Stadt, die sich gemacht habe, über Schubart, der von seiner Heimatstadt gesagt habe, dass sie ein hässlich Kind in einer schönen Wiege sei, sprich baulich dürftig aber landschaftlich schön, dass die Ostälbler ein rauer Schlag seien usw. Die besten Frauen der Stadt aber seien die Schwestern der Kirchengemeinde, denen er jährlich um die Jahreswende einen Besuch abstatte, um sich für ihre Dienste zu bedanken. Diese „beste Frauen“ gingen mir noch lange durch den Kopf. Diese Formulierung aus dem Mund des gestandenen Küferstübles-Wirts hätte anderes vermuten lassen, und so war ich gespannt.
Nicht lange nach meiner Ankunft in meiner neuen Heimat begegnete ich ihnen. Sie hatten seltsame Namen: Alexina, hieß nicht so ähnlich das Einkaufszentrum am Alexanderplatz in Berlin? Piata, nach meinem Stümperlatein musste das was mit Frömmigkeit zu tun haben. Und dann doch relativ geerdet Rosemarie. Wenn man wo neu beginnt, ist man ja wie ein Ethnologe, der fremde Kulturen erforscht, und so machte ich denn meine ersten ungeschickten Schritte auf meiner Erkenntnisreise Aalen. Die Schwestern mit den seltsamen Namen aber erwiesen sich dabei als Glücksfall. Nie aufdringlich, aber so nebenbei, gaben sie mir wichtige Information zum Verständnis der fremden Umwelt und deren Bewohner. Sie erwiesen sich als absolut bodenständig und humorvoll. Sie hatten viele Kontakte zu den normalen und einfachen BürgerInnen, die gerne übersehen werden, halfen auf diskrete Art, ohne sich aber um den Finger wickeln zu lassen, hatten eine offene Tür für Frauen, denen übel mitgespielt worden war, engagierten sich in vielerlei Diensten in der Gemeinde – Schwester Rosemarie übte sogar noch bis vor kurzem einen Teilauftrag in der Sozialstation aus, stützten und trugen das Gebet der Gemeinde etc. etc. pp. Aalens „beste Frauen“ als stiller Glücksfall für die Katholikinnen und Katholiken in Aalen. Und wenn der Volksmund auch Schwestern gerne als zänkisch und übellaunig beschreibt, so kann man von den hiesigen nur sagen, dass sie ein Herz und eine Seele sind und voll Warmherzigkeit. Doch auch an unseren Schwestern ging das Altern nicht vorbei. Als die Verwaltung in der katholischen Kirche immer wichtiger wurde und man meinte, auf pastorale Mitarbeiter könne man verzichten, aber eine effektive Verwaltung würde den Heilsauftrag viel besser erfüllen (in den letzten 10 Jahren wurden in den Dekanaten die Verwaltungsstellen um 60% erhöht!!!), wurden die Schwestern in ihrem Haus an den Rand gedrängt und in die Dachkammern verwiesen. Diese waren aber nur über eine enge und steile Stiege zu erreichen. Altersgemäß war solches nicht. Die Schwestern also ins Altersheim des Mutterhauses in Untermarchtal ziehen lassen? Dies war keine gute Idee. Diese Frauen, das stand fest, waren ein Segen für die Gemeinden, auch in ihrem Alter. Was wäre, wenn es eine Alterswohngemeinschaft der Schwestern hier geben würde? Kein konkreter Auftrag mehr in Gemeinde, Kindergarten oder Sozialstation, sondern einfach mitleben in unseren Gemeinden?!
Mit dieser Idee wandten wir uns an den Generalrat der Vinzentinerinnen, und diese waren verblüfft und erfreut über diese Idee. Die Generaloberin, Schwester Elisabeth, fand dann den treffenden Titel für das Unterfangen: „Projekt: Betende Präsenz.“ Schwestern aus der Kongregation sollten die Möglichkeit bekommen, statt in das Altenheim in Untermarchtal zu gehen, in Aalen am Leben einer Gemeinde teilzunehmen. Als WG sollten sie sich selbst versorgen und ihre altersspezifischen Charismen leben, wie Zeit haben, vinzentinische Frömmigkeit, Lebensklugheit und – Erfahrung, etc.
Lange wurde beraten, Corona machte manches schwierig, der gute Willen aber war auf Gemeindeseite wie bei der Kongregation vorhanden, sodass die Probleme aus dem Weg geräumt wurden. Die Vereinbarung gilt auf 15 Jahre, die Gemeinde stellet mietfrei eine barrierefreie Wohnung, und die Kongregation sichert den Lebensunterhalt. Die Vereinbarung gilt auf 15 Jahre.
Am 5. Mai ist es jetzt soweit, dann wird die Vereinbarung unterzeichnet. Die Generaloberin, Schwester Elisabeth Halbmann, kommt dazu nach Aalen und wird auch die neue Wohnung der Schwestern im Salvatorheim besichtigen. (Danke der italienischen Gemeinde, die dafür ihre Räume zur Verfügung gestellt hat!) Ich bin gewiss, dass die Schwestern des heiligen Vinzenz von Paul, die schon seit weit mehr als 100 Jahren ein Segen für unsere Gemeinde sind, es auch zukünftig sein werden.
Ad multos annos – auf viele weitere Jahre also.

Pfarrer Wolfgang Sedlmeier
Foto: Brigitte Dobler